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Gericht eröffnet Verfahren gegen Ex-Sekretärin von Konzentrationslager Stutthof

Copyright AFP Omer Messinger

Das Landgericht Itzehoe hat das Hauptverfahren gegen eine ehemalige Sekretärin des NS-Konzentrationslagers Stutthof eröffnet. Die Große Jugendkammer habe die Anklage auf Beihilfe zu Mord und versuchtem Mord in mehr als 11.000 Fällen zugelassen, teilte das Gericht am Freitag mit. 

Der damals Heranwachsenden wird vorgeworfen, als Stenotypistin und Schreibkraft des Lagerkommandanten des ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof zwischen Juni 1943 und April 1945 “den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben”.

Die Kammer erachtet den Angaben nach die heute 96-jährige Frau für hinreichend verdächtig, durch eine Handlung Beihilfe zu 11.387 Fällen des Mordes geleistet zu haben, wovon es in sieben Fällen beim Versuch geblieben sein soll. Das Verfahren solle vor der Jugendkammer verhandelt werden, weil die Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat 18 beziehungsweise 19 Jahre alt und somit eine Heranwachsende im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes war. Der Prozess soll am 30. September beginnen.

In den vergangenen Jahren hatte es in Deutschland noch einmal eine ganze Reihe von Anklagen und Prozessen gegen ehemalige Angehörige der Wach- und Verwaltungsmannschaften der beiden Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Stutthof gegeben. Zuletzt verurteilte das Landgericht in Hamburg im Juli 2020 einen 93-jährigen früheren Stutthof-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe nach Jugendstrafrecht. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Im Lager Stutthof bei Danzig hatte die SS im Zweiten Weltkrieg mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 Menschen starben. Stutthof war als Lager berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung und lebensfeindliche Zustände. Die meisten Gefangenen starben an Krankheiten und Entkräftung.

Eine Strafverfolgung wegen NS-Verbrechen ist in Deutschland nur noch wegen Mordes oder Beihilfe dazu möglich, andere denkbare Vorwürfe sind verjährt. Der Wachdienst in einem Konzentrationslager allein reicht nicht aus. Nur bei Todes- und Vernichtungslagern, deren Zweck die systematische Tötung aller Gefangenen war, gilt nach deutscher Rechtsprechung bereits die reine Zugehörigkeit zur Wachmannschaft als Beihilfe zum Mord. Eine direkte Beteiligung an Tötungen ist nicht nötig.

Der Anklageerhebung vorausgegangen war nach Angaben eines Sprechers der Staatsanwaltschaft ein aufwändiges längeres Ermittlungsverfahren. Dafür seien unter anderem Zeugen in den USA und Israel befragt worden. Auch ein Historiker wurde beauftragt, um mehr Informationen über die Funktion der Beschuldigten innerhalb der Lagerverwaltung zu erhalten.

Quelle: AFP

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